„Sabrina? Bist du wach?“ flüstert Jörn.
„Ja!“ flüstere ich zurück und nehme seine Hand. Diese Hand, die ich vielleicht nie wieder halten kann, wenn das hier schlecht ausgeht.
Ich verschweige ihm, dass ich glaube, dass unser Auto immer mehr auf die Seite sinkt. Wenn Wasser in den Innenraum eintritt, sind wir noch mehr am Arsch.

„Glaubst du, man kann einen Deal mit dem Leben machen?“ fragt er mich jetzt.

„Hm. Ich glaube nicht, dass sich das Leben erpressen lässt. Außerdem würde es bedeuten, dass irgendjemand oder irgendetwas auf uns aufpasst – und das ist aus meiner Sicht nicht der Fall“, antworte ich ehrlich.

Der Stern über uns winkt immer noch, während er aus der Reihe tanzt.

 

Das Universum spricht sternenförmig

Unterschiedliche Kräfte und Mächte wirken auf diesem Planeten. Sie stehen alle für sich selbst. Gott ist eine davon. Gott gehört für mich zum Leben – genau wie die anderen. Alle zusammen sind Teil des Lebens und deshalb glaube ich, dass wir sie alle um etwas bitten sollten heute Nacht. Das ganze Universum am besten.

„Das Leben fordert Opfer, so viel weiß ich. Wir könnten etwas opfern, das uns ordentlich etwas abverlangen wird und im Gegenzug um unsere Leben bitten.“

In dieser Nacht geben Jörn und ich dem Universum ein Versprechen.

Photo by Greg Rakozy on Unsplash„Ganz ehrlich, Sabrina? Wenn ich das Universum wäre, ich würde den Deal machen“, flüstert Jörn, bevor er einschläft.

Während unserer leisen Unterhaltung habe ich nicht mehr zu ihm hingesehen. Aber er ist noch da. Der Stern über uns tanzt immer noch.

„Hast du zugehört?“ frage ich das Sternenzelt über mir ganz leise, damit Jörn nicht aufwacht.

In der Stille liegt eine ungeheure Durchschlagkraft. Sie ist die beste Art und Weise, um mit dem Universum zu sprechen. Manchmal, da zwinkert es uns zu. Direkt aus dem All.
„Ja“, antwortet das Universum und da weiß ich, dass ich jetzt schlafen kann.
Stundenlang.
Und am nächsten Morgen mit den ersten Sonnenstrahlen aufwachen.
Seltsam fit und erholt. Voller Lebenswille und Energie.

 

Wie man zum Urgrund der Existenz watet

Zwar haben wir beide einen steifen Hals, aber das ist in Anbetracht unserer Situation eine Kleinigkeit.
Wir packen unsere Rucksäcke. Wasser, Brot, Kartenmaterial, GPS, Handys, Pässe. Erste-Hilfe Set, Taschenlampen.

Heute lerne ich den Urgrund des Lebens kennen, soviel habe ich bis hierhin begriffen. Den Boden der Existenz, für die wir Menschen gemacht sind. Die Tiefe, in die wir hineingehören. Ich höre dem Sein in seiner allgegenwärtigen Tonalität zu.  Ich lerne das Fundament des Lebens heute kennen durch niemanden anderen, als meinen möglichen Tod. Dabei helfen mir wilde Tiere und plötzlich begreife ich, dass jeder Atemzug und jedes gesunde Spüren nicht bloß EIN Geschenk ist. Es ist DAS Geschenk.

Nicht irgendwo gelesen und verstanden. Dieses Geschenk findet nicht ausschließlich im Kopf zwischen Büchern statt. Auch nicht vor Bildschirmen. Das Geschenk namens Leben will ausgepackt und er-lebt oder ge-lebt werden. Nur allzu häufig erfreuen wir uns an der Verpackung mehr, als am Inhalt.

Diese Erkenntnis kommt mir allerdings viel später. Jetzt, als ich aus dem Auto in den Fluss steige, bin ich voll im Hier und Jetzt. In diesem einen Moment, in dem erstmals Flusswasser in meine Schuhe dringt, um daraufhin meine Hosenbeine nasskalt hinauf zu wandern.

Nochmal tief durchatmen. Ein letzter durchdringender Blick, dann gehen wir los.

Jörn watet stets voran. Er prüft mit einem großen Ast Tiefen im Wasser. Über Baumstämme kletternd, durch spinnenverseuchtes Schilf, immer voran, um möglichst schnell diese furchtbaren 400 Meter hinter uns zu bringen.

Irgendetwas schwimmt um meine Beine herum. Ich kann es nicht sehen, weil das Wasser zu trüb ist. Was auch immer es ist: Wenn es mich fressen wollte, hätte es wahrscheinlich längst schon zugebissen.

„Jörn!“ rufe ich kurz darauf. Ich kann nicht glauben, was ich da sehe. Ich will es nicht glauben.

Er hat ihn bereits gesehen.

Elefant in Afrika
Einem solchen Kameraden sind wir wenige Tage zuvor begegnet – vom sicheren Auto aus

Ein riesiger Elefantenbulle. Er steht genau vor dem Wasserloch, das wir noch überwinden müssen, um auf die Straße zu gelangen.
Das Tier trinkt seelenruhig und beobachtet uns neugierig.

„Scheiß drauf, erstmal weiter. Wir müssen die Landzunge da vorne erreichen“, entscheidet Jörn.

Wir waten also weiter.

 

 

Auf den ausgewachsenen Elefanten zu und (aus meiner Sicht) weiter weg von Nilpferden und Krokodilen. Die sind gerade meine größte Sorge. Ein Elefant…nee. Es gibt hier schlimmeres.

Wenige Minuten später passiert das Unglaubliche!

 

Autos mit Menschen als erlösender Anblick

Ein Auto fährt hinter diesem einen Elefanten vorbei.

Noch nie habe ich mich so sehr gefreut, einen Menschen in einem Auto zu sehen. Leider sieht der Fahrer weder unser Armwedeln, noch hört er unsere zaghaften Rufe. Wegen der Tiere (sichtbar und unsichtbar) trauen wir uns nicht, lauter und auffälliger auf uns aufmerksam zu machen.

Wir lassen die Chance vorüberziehen und waten weiter durchs Nass.

Vielleicht 30 Meter Entfernung trennen uns noch vom Ziel – der Straße. Ich sehe ein Schild, das der Elefant mit seinem riesigen Körper fast vollständig verdeckt. Wahrscheinlich ist es das Umleitungs-Schild?

Ich bin mittlerweile bis zum Hintern im Wasser und versuche, mich nicht von den Berührungen und Blubberblasen in Panik versetzen zu lassen.
Das würde jetzt wirklich nichts bringen.

Also lasse ich es.

Ernsthaft. Es ist faszinierend, wie Instinkt getrieben man handeln kann, wenn man durch lebensbedrohliche Situationen marschiert. Irgendwie weiß der Körper, was zu tun ist.

Wir schaffen es schließlich an Land.

Vor uns liegt das letzte Hindernis. Ein Wasserloch, an dem nicht einer, sondern mittlerweile zwei Elefanten stehen.

„Das ist jetzt nicht wahr, oder?“ stößt Jörn fassungslos hervor.

So kurz vor dem Ziel, kommen wir nicht weiter, weil uns Elefanten den Weg versperren.

 

Elefanten zu sehen ist nicht immer schön

Wir sagen eine Weile gar nichts und beobachten die größten Säugetiere des Planeten Erde. Die riesigen Dickhäuter beäugen uns friedlich. Entspannt verlagern sie ihre Gewichte erst aufs eine, dann aufs andere Bein. Saufen zwischendurch, spritzen sich nass.

„Lass uns mal aus ihrem Sichtfeld gehen. Wenn die uns genauso neugierig beobachten, wie wir das mit ihnen machen, dann gehen sie nie weiter“, meint Jörn und wir verstecken uns im Gebüsch.

Im Gebüsch.

„Ähm. Nee. Baumschlangen, Spinnen und so…“, werfe ich ein und wir stellen uns wieder mitten ins Sichtfeld der… mittlerweile drei Elefanten.

„Nein!“ jammere ich und habe mich nie so wenig über die Gegenwart von Elefanten gefreut.

So nah war ich ihnen zwar bislang ebenfalls noch nie, aber die wenigen Meter zu den Tieren trennen mich in diesem Augenblick von meiner Chance auf Rettung.

Wir unterhalten uns wenig.

Drei ausgewachsene Elefanten können einen zum Schweigen bringen.

Und Jörn und ich schweigen jetzt sehr lange. Stehen einfach nur da.

„Demut und Gelassenheit. Das habe ich mindestens gerade gelernt“, murmelt Jörn irgendwann.

„Hingabe“, ist der Begriff, der mir gefehlt hat.

Wie soll man es auch beschreiben, wenn das kostbarste Geschenk des Universums einem jeden Augenblick wieder genommen werden könnte?

Ich liebe leben. Wirklich. Wenn die Bedrohung des eigenen Lebens manifest wird und man darauf vertraut, dass kein Lebewesen plötzlich aus dem Nichts auftaucht und ärgerlich wird, dann gibt man sich voller Vertrauen dem Leben hin und hofft, dass es schon irgendwie gut ausgehen wird.

Irgendwann zieht erst der eine Dickhäuter weiter, dann der andere. Nur einer zögert noch.

Fast im selben Moment fährt ein Auto um die Kurve und gerät ins Schleudern.

Der Fahrer steigt aus.

Elefant geht Richtung Wald
Wochen zuvor in Namibia ging alles viel zu schnell. Schwupps, war der Dickhäuter verschwunden. Unsere Botswanischen Kameraden lassen sich nicht hetzen…

Der letzte Elefant geht Richtung Wald

„Hilfe!“ ruft Jörn sogleich und rennt los.

Ich sehe aus den Augenwinkeln, wie der letzte Elefant seinen riesigen Kopf erneut aus dem Wald streckt.
Aber er bleibt stehen.
Ich renne meinem Mann hinterher.
Zehn Meter trennen uns noch von der Straße.
Der Elefant steht immer noch.
„Der Typ pinkelt bloß, der hat uns nicht gehört“, rufe ich Jörn hinterher.
„Hilfe!“ ruft Jörn wieder.
Er steht jetzt bis zur Hüfte im Wasser.
„Hast du nach Hippos gecheckt?“
Die Antwort kommt nicht. Stattdessen ruft er mir über seine rechte Schulter hinweg zu:

„Es kann sein, dass wir durchschwimmen müssen…“

Nächste Woche Dienstag geht es weiter!

 

Photo by Greg Rakozy on Unsplash

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