Hüfthoch im Wasser stehend um Hilfe schreiend, wedeln wir mit den Armen und werden endlich vom Fahrer des Wagens gehört.
Er winkt zurück.
Wir hechten an Land, von oben bis unten klatschnass und erzählen diesem fremden Mann unsere Geschichte.
Aus den Augenwinkeln sehe ich, wie der letzte der Elefanten den Kopf schüttelt und zurück in den Wald geht.
Minuten später sitzen Jörn und ich auf der Ladefläche des Pick-Ups und fahren nach Mabawe.
Lebend.
Im Okavango Delta zum Frühstück
Alle plappern durcheinander. Wir verstehen zwar kein Wort, aber anscheinend ist man uns im Dorf wohlgesonnen.
Jemand, der eine abgewetzte Polizeijacke trägt, übernimmt die Führung.
„Kommt mal mit. Dort drüben sitzen ein paar Männer, die euch vielleicht helfen können“, sagt der Mann auf Englisch und nimmt uns mit zu ein paar Typen, die um ein kleines Feuer sitzen.
Neugierig mustern sie uns, während unaufhörlich Flusswasser aus unseren Klamotten tropft. Meine Schuhe quietschen bei jedem Schritt und hinterlassen feuchte Spuren im trockenen Boden von Mabawe.
„Macht ihr euch gerade Frühstück?“ fragt Jörn.
„Eyyyyyy….“, antwortet einer.
„Ja. Auf dem Feuer“, sagt ein anderer.
Wir erklären kurz, was uns passiert ist. In der Mimik der Männer regt sich nichts weiter. So langsam glaube ich, dass es vielleicht gar nicht so ungewöhnlich oder lebensbedrohlich war, was wir erlebt haben. Kann das sein? Ich frage jetzt lieber nicht.
Der Polizeimann kommt zurück.
„Ich habe mit dem Boss der Männer hier gesprochen. Die bauen gerade eine Brücke in der Nähe. Mit dem Fahrzeug da drüben können sie euch raus ziehen.“
Mir kommen die Tränen vor Erleichterung, als er das sagt.
Sie helfen uns!
Zusammen mit ein paar botswanischen Bauarbeitern stehen Jörn und ich kurz darauf auf der Ladefläche des nächsten Pickups, während uns die schwere, gelbe Maschine zum Fluss folgt.
Lektionen im Fährtenlesen
An Ort und Stelle geht es los: Das Monsterteil von einer Baumaschine wird in Position gebracht und zieht nach uns nach unsere Karre aus dem Fluss.
Während das passiert, gibt mir der Boss der Baufirma Unterricht im Fährtenlesen.
Ich erfahre, dass Krokodile hier leben.
Dass Hyänen hier trinken.
Dass gestern Nacht die Löwen vom Dorf aus zu hören waren und sie wahrscheinlich nicht in unserer Nähe waren.
So ein Glück.
Aber die Hippos. Die waren letzte Nacht schon hier.
Ich schlucke schwer. Ich frage ihn jetzt nicht nach Schlangen und Skorpionen und Spinnen. Das war genug Kurs in Fährtenlesen für heute.
Wir geben ihnen zum Dank alles, was wir haben. Euros, Dollars, namibische und botswanische Währung, südafrikanische Rand. Ich ziehe zwei Sixpacks „Savanna Dry“ aus der Kühlbox und gebe den Jungs einen aus. Bloß halb im Scherz halte ich eine Flasche Gin hoch. Alle lachen und schütteln den Kopf. Vorsichtig packe ich den Schnaps zurück und bette ihn zwischen Brot und Kartoffeln.
Und ich freue mich, dass ich noch lebendig genug bin, um mich mit ihnen zu freuen.
„May God bless you!“ sagt einer im blauen Hemd und warmem Blick. Er umarmt mich lange. Ich widerstehe dem Impuls, an seinem dicken, gemütlichen Bauch zusammenzusacken wie ein kleines Baby.
Ich verspreche ihm, für ihn und seine Familie zu beten. Wenn man betet, spricht man mit dem Universum und erlaubt der Erschaffenheit, durch unsere eigenen Augen einen Blick auf das Leben zu werfen.
Manchmal zwinkert uns das All dabei zu und sagt, dass es verstanden hat. Das kann man erkennen, wenn Sternschnuppen fliegen.
Ich habe gestern Nacht den Flug unzählig vieler Sternschnuppen verfolgt.
Jörn hat sie auch gesehen.
Dem Ruf der Wildnis zugehört
Als wir trocken und glücklich in unserem Auto sitzen, beschließen wir, in der Wildnis zu bleiben. Nach diesem Erlebnis in eine Stadt voller Menschen zu fahren, fühlt sich falsch an.
Also campen wir. Direkt neben einem Fluss.
Noch bevor unser Zelt steht, tritt eine Elefantenfamilie ans Ufer und trinkt.
„Ich sehe Elefanten irgendwie mit anderen Augen“, sage ich leise zu Jörn.
„Ich auch.“
„Und Flüsse“, ergänze ich.
„Ich auch.“
„Und das Leben“, denken wir beide laut. Und den Tod.
„Haben wir den Gin eigentlich noch?“ fragt Jörn und blickt in Richtung Kühlbox.
Wenige Minuten sitzen wir in unseren Campingstühlen, jeder mit einem Glas Gin Lemon. Nie hat ein Drink besser geschmeckt, wie an diesem Abend.
Ein Leben voller Chancen
Das Leben gibt uns Chancen, voller Demut und Dankbarkeit auf das zu blicken, was es ausmacht. Voller Hingabe das zu tun, weswegen wir geboren wurden.
Am nächsten Tag bekommen Jörn und ich so eine Chance.
Wir fahren erneut nach Mabawe. Wir wollen unseren Rettern die Lebensmittel schenken, die wir noch haben. Vor allem den Kindern des Dorfes will ich die Schokokekse bringen, die ich am liebsten mag.
Wir werden empfangen wie alte Freunde.
Werden umarmt.
Länger, als es bei uns Zuhause üblich ist.
Es fühlt sich wunderbar an.
Ich gehe zu den Kindern, die ein paar Meter entfernt von uns spielen. Freundlich winke ich ihnen zu und gehe in die Hocke, damit ich ihnen auf Augenhöhe begegnen kann. Auf meinen Knien balanciere ich eine geöffnete Kekspackung. Eines der Mädchen greift nach der Packung mit leuchtenden Augen.
Ich sehe echtes Glück. Und ich bin so unendlich dankbar, dass ich das erkennen darf. Ich entscheide mich für Lachen und gegen Weinen, weil ich glaube, sonst niemals wieder aufzuhören. Das hebe ich mir für später auf.
Die echten Qualitäten, die das Leben ausmachen, erkennen wir in den Augen anderer Menschen.
Als ich die Straße erneut überquere, um zu den Männern zurück zu gelangen, wird dort immer noch umarmt und gedrückt. In diesem Augenblick erkenne ich selbst die Unbedeutetheit von Hautfarben und lese nicht nur darüber.
Der Kern von Menschlichkeit taucht gerade sichtbar vor mir auf. Einen Augenblick später taucht er in mich ein. Erneut. Deutlicher jetzt, als vorher. Ich verspreche der Menschlichkeit, gut auf sie aufzupassen, während sich ihr Kern erneut in meinem Herzen breit macht. Diesmal mit der Gewissheit, dass wir uns persönlich kennen gelernt haben.
Gleich darauf schickt das Leben eine weitere Chance, um „Danke“ zu sagen.
Wenn Du in der Wildnis eine Panne hast…bleib im Auto
Der Polizeimann des Dorfes möchte in die Stadt Maun fahren. Da wollen wir auch hin!
Ohne einen Augenblick lang daran zu denken, dass der Autovermieter per Vertrag verbietet Anhalter mit zu nehmen, räumen Jörn und ich den Rücksitz frei.
Der Polizeimann ist ja schließlich kein Fremder mehr. Niemand in diesem Dorf. Wir nehmen einen Freund mit und sein Name ist „Diks“. Seinen vollen Namen kann ich weder schreiben, noch aussprechen.
„Diks“ erzählt uns, dass sein Name „der Fremden mit Freundlichkeit begegnet“ bedeutet.
Kein Witz.
Wir stellen dem Polizeimann alle möglichen Fragen. Über sein Leben, seine Familie, seinen Job, seine Freunde, seine Sicht auf die Welt.
„Diks? War es komplett bescheuert, dass wir gestern durch diese Gewässer gewatet sind?“ fragt Jörn
„Ja!“ sagt Diks ohne Umschweife.
Ich sehe, wie Jörn schwer schluckt.
„Scheiße. Ich hatte gehofft, du sagst jetzt, dass das echt keine Gefahr war oder so“, meint er dann.
„Doch. War es. Ihr hättet im Auto bleiben sollen“, sagt der Polizeimann.
Wenn du in der Wildnis eine Panne hast, bleib im Auto.
Aber was tut man denn, wenn einen niemand hört oder sieht? Oder das Auto im Wasser feststeckt? Dazu kann er auch nichts sagen.
Aber ich weiß jetzt etwas: Ich gehe nie wieder ohne Satellitentelefon in den Busch. Und ich fahre nur noch Autos in der Wildnis, die eine Seilwinde haben.
„Passiert das denn öfter mit Reisenden, die bei euch durchkommen?“ will Jörn weiter wissen.
„Nein. Ihr wart die ersten“, kommt es von der Rückbank.
„Seit wann ist die Straße in euer Dorf denn überflutet?“ fragt Jörn weiter und ich vermute, dass jetzt eine Angabe kommt wie: Seit ein paar Wochen. Oder Monaten.
„Seit acht Jahren“, beantwortet Diks seine Frage.
Acht Jahre.
Seit acht Jahren!
Shit.
„Wieso stellt ihr denn kein Schild auf, um Leute davor zu warnen, dort lang zu fahren?“ frage ich.
„Aber es gibt doch eines!“ sagt der freundliche schwarze Mann und meint damit den kleinen Pfeil, den jemand auf dieses Schild hier gemalt hat:
In Maun verabschieden wir den Mann, der für immer einen Platz in unseren Herzen haben wird.
Jörn und ich haben in den letzten 48 Stunden unfassbar viel gelernt. Und das Beste kommt zum Schluss…
Nächste Woche Dienstag geht es weiter!
Neueste Beiträge
- Die Suche nach der verlorenen Nachricht: Ein Schwabenkrimi Teil 2
- Die Dynamik der Seele: Wie innerer Druck zur persönlichen Entwicklung beiträgt
- Wenn alles zu viel wird: Der Druck der Seele und unser Weg zur Reife
- Die Suche nach der verlorenen Nachricht: Ein Schwabenkrimi Teil 1
- After-Work-Schnitzen: Wie man mit einem Stück Holz und einem Hammer innere Ruhe findet
Archive
- August 2023
- Juli 2023
- Juni 2023
- März 2023
- Februar 2023
- August 2022
- Juli 2020
- Juni 2020
- April 2020
- März 2020
- Dezember 2019
- Oktober 2019
- September 2019
- Juli 2019
- Juni 2019
- April 2019
- Februar 2019
- Januar 2019
- Dezember 2018
- November 2018
- Oktober 2018
- September 2018
- August 2018
- Juli 2018
- Mai 2018
- April 2018
- März 2018
- Februar 2018
- Januar 2018
- Dezember 2017
- November 2017
- Oktober 2017
- September 2017
- August 2017
- Juli 2017
- Juni 2017
- Mai 2017
- April 2017
- März 2017
- Februar 2017
- Januar 2017
Kategorien
Neueste Kommentare
- SabrinaRahtgens bei Die Suche nach der verlorenen Nachricht: Ein Schwabenkrimi Teil 1
- Dagmar bei Die Suche nach der verlorenen Nachricht: Ein Schwabenkrimi Teil 1
- Martina Kannenberg bei Fazit Post-Covid Therapie in Indien mit Ayurveda
- SabrinaRahtgens bei Das passiert bei einer Post-Covid-Therapie in Indien mit traditioneller Medizin
- Vera Schmitz bei Das passiert bei einer Post-Covid-Therapie in Indien mit traditioneller Medizin