Es ist der 1. Dezember 2019 und wir sind zum Adventsgrillen im Nachbarort eingeladen. Statt einer Kerze auf dem Adventskranz, zünden wir den Grill an. Bei angenehmen 18 Grad und Sonnenschein mache ich ein Selfie mit Laura, während Jörn mit Jan darüber diskutiert, wann Knoblauchbrot essbar ist. Nur im gegrillten Zustand oder auch pappig-roh? Manche Fragen sind wunderbar einfach und tragen in sich die Erlaubnis der Leichtigkeit. Letztere ist etwas, die sich beim Auswandern ganz zum Schluss einstellt und dann mit der Sonne um die Wette strahlt. Der Schlüssel zu allem ist mal wieder…
*lehn-dich-zurück-und-lies-gemütlich*

Die Knoblauchbrot-Frage: Nur gegrillt oder auch ungegrillt essbar?

Wir sitzen draußen, zu siebt um einen großen Tisch und genießen frischen Fisch statt Bratwurst. Trinken gekühlten Rosé statt Glühwein. Laura, bald sechs Jahre alt und sehr weise, macht den Vorschlag nach dem Essen noch mal in den Pool zu springen, aber ich bin eine Memme was das Thema Kaltwasser betrifft. Für mich ist die Badesaison schon seit fast drei Monaten beendet (herrje, ja!) und deshalb lehne ich den Vorschlag dankend ab. Lieber gehen wir noch mal Bilderbücher ausmalen oder Sticker in Alben kleben. Das mögen wir beide.

Überhaupt haben Laura und ich einiges gemeinsam: Wir sind aus München nach Barcelona gezogen, klischeehaft blond und blauäugig, kindisch, sprechen deutsch, englisch und spanisch (Laura kann alles besser). Wir mögen beide Glitzer und Rosa, was die gemeinsame Auswahl beim Nagellack sehr leicht macht, und in Lauras Kinderzimmer findet man einen tollen Tisch zum Malen. Dort unterhalten wir uns. Eigentlich redet Laura die meiste Zeit und ich mache brav, was sie sagt.

Von Spenglisch über Denglish nach Hochdeutsch

Was das Thema Sprachen sprechen betrifft, gibt es viele lustige Momente in meinem neuen Leben. So gestern passiert, zum Beispiel:
„Wann gehst du immer reiten?“ frage ich sie, während wir im Bücherschrank nach Malbüchern gucken.
Offen gestanden kenne ich die Antwort bereits, weil ihre Mama Anne und ich im selben Reitverein etwas tun, was wir nach außen als Reiten kommunizieren.
Laura ist kurz ruhig und überlegt. Ein Moment, der so einzigartig ist, dass er eine Zeile in diesem Beitrag verdient hat.
„Immer on Thursday“, sagt sie schließlich und reicht mir einen Stift.
„Immer am Donnerstag, meinst du?“ frage ich zurück.
Laura guckt mich an, als hätte ich gutturale Gluggslaute von mir gegeben und Fratzen dazu geschnitten.
Sie zuckt schließlich mit den Schultern und wir reden über etwas anderes. Tun beide so, als hätte es diesen Moment des kommunikativen Missverständnisses nie gegeben.

Später, als sie ihre Deadline für Hausaufgaben mit Mama Anne bespricht, erfahre ich, dass Laura die Wochentage aktuell nur auf Englisch treffsicher beherrscht.
Spanisch kommt sicherlich auch bald hinterher.
Nur auf Deutsch, da hapert es mangels Übungsgelegenheit etwas.
„Die Hausaufgaben brauch ich on Tuesday, äh, ich meine on Wednesday“, erklärt sie abschließend mit Bleistift und Papier bewaffnet.

Die Welt ist eine andere geworden und gleichzeitig gleich geblieben

Das Leben in einem anderen Land verändert. Manche Veränderung kommt von außen – am Anfang ist es vor allem das. Andere Essenszeiten, andere Arbeitszeiten, andere Lebensmittel, Medikamente, Kleidergrößen. Die Post kommt gar nicht oder erst nach vielen Wochen oder landet beim Nachbarn. Mit viel Glück, auch im eigenen Briefkasten oder wenigstens über das Gartentor geworfen. Es sind noch tausenderlei Dinge mehr. Ganz viele wunderbare Sachen sind dabei und mindestens genauso viele nervende Arten und Weisen, wie der Spanier die Dinge erledigt und auf die Welt und sich selbst blickt.

Ich bin jetzt Vollzeit-Ausländerin

Ein Leben als Ausländerin ist anders. Ich habe gelernt, wie es sich anfühlt, nicht verstanden zu werden. Einfach nur, weil die Worte fehlen. Es ist dasselbe Gefühl wie früher zu Schulzeiten, als ich an die Tafel zum Vorrechnen mathematischer Integralrechnungen gebeten wurde – und es so gut wie nie hinbekommen habe. Bloß war da ein Lehrer, der meine Referenz für Ungenügendsein gefüttert hat. Heute bin ich dafür verantwortlich. Ich rufe mir also monatelang ins Gedächtnis: Ich bin genug. Ich bin genug. Ich bin genug. Auch, wenn ich noch nicht perfekt spanisch spreche. Ich bin nicht dumm. Ich bin einfach nur noch nicht flüssig in dieser Sprache. Mehr nicht.

Meine Intelligenz ist noch da. Sie reicht vom Gehirn bis ins Herz. Sie liegt verborgen hinter den Worten, die nach und nach ins Licht treten und greifbar werden, je länger ich in diesem Land bin. Ich bin immer noch ich, bloß mehr geworden. Und das macht anders.

Pfeif auf Hektik bei der Arbeit

Ich habe gelernt, dass Spanier gerne helfen und eine Eselsgeduld mitbringen, wenn es ums Erraten meiner Wünsche oder Antworten geht. Ausländersein in Spanien ist einfacher, als Ausländer in Deutschland sein, glaube ich. Seit ich in Spanien lebe, spreche ich viel mit Menschen aus anderen Ländern. Auch in Deutschland. Fakt ist: Die spanische Kultur gibt etwas Raum, wonach wir Deutschen und sehnen: Entschleunigung.

Tranquilo.

Lass dir Zeit. Geh es ruhig an. Der Weg ist das Ziel. Atme. Morgen ist auch noch ein Tag. Wenn es heute noch nicht passt, versuchst du es morgen noch einmal. Tu es nur, wenn dir wirklich danach ist. Pfeife ein Lied bei der Arbeit. Iss köstliches Essen, viel davon und zu unmöglichen Zeiten, tu es mit Freunden und Familie, geh viel zu spät nach Hause und schau dir auf dem Heimweg das Feuerwerk an. Es gibt auf jeden Fall eines, denn das hier, das ist Spanien. Wir feiern so viel, weil wir es können.

Am Strand gehen wir langsamer…

Vom Leben und der Liebe und dem Schlüssel zu allem

Gestern Abend, nach dem Adventsgrillen:
Phaedra kommt schwanzwedeln zur Haustüre und begrüßt uns. Gerade noch lag sie auf der Couch im Wohnzimmer (ja, wir haben einen großen Sofahund). Wenige Minuten später liegen wir zu dritt vor dem Fernseher: Jörn, Hund, ich. Ein bisschen etwas vom Sand, den Phaedra noch im Fell und zwischen den Pfoten hatte, habe ich vom Polster gefegt. Nicht alles, weil es sich nicht lohnt. Dem Strand in unserer Wohnung Herr zu werden, ist eine Sisyphos-Arbeit. Eine, die ich lächelnd ablehne. Das Leben in einem anderen Lang beinhaltet an vielen Stellen, dass man Veränderungen annehmen kann, weil sie zeigen, dass man ein Leben lebt das man sich ausgesucht hat, weil man es liebt.

Wenn du das Leben liebst, dann liebt es dich auch zurück. Das ist ein universales Gesetz. In jedem von uns gibt es einen Raum unendlicher, bedingungsloser Liebe. Jeder von uns besitzt einen Schlüssel, der die Türe aufsperrt, die zu uns selbst führt – damit wir eintreten und lieben können. Liebe, die von außen kommt, ist ein Geschenk. Liebe, die von innen gefunden wird, ist Erlösung.

Wir nehmen uns selbst überall hin mit

Ein Leben im Ausland ist ein idealer Übungsplatz für alle, die herausfinden wollen, ob sie ihren Schlüssel zur eigenen Liebe auch hier finden. Mein Tipp: Wandere niemals aus, um deinen inneren Raum (der Ruhe, Annahme und Liebe) in einem anderen Land zu finden. Du nimmst dich selbst überall hin mit und wenn du vorher keine Idee davon hattest, wie du zu dir selbst findest in Krisenzeiten, dann lernst du es wahrscheinlich auch nicht durch Auswandern. Oder die Lektion kommt knüppelhart. Kann man so machen, muss man aber nicht.

Mach dich auf den Weg an dem Ort, an dem du jetzt bist. Wenn du dich gefunden hast, greif nach den Sternen, mach dich auf zur nächsten Ebene und zur nächsten und zur nächsten… Das Leben ist eine wunderbare Reise ohne Ziel. Dabei andere Länder zu besuchen ist ein Geschenk. Und Deine Liebe nimmst du überall hin mit, weil du sie bereits in dir trägst.

Dort, wo Worte niemals hinreichen

Kiloweise mit Fisch beschwert robben Jörn und ich uns am Weihnachtsbaum unserer Freunde vorbei. Ich werfe nochmal einen Blick über die Lichterketten und Kugeln hinweg, dorthin, wo eine riesige Palme im Garten der Nachbarn steht. Die Sonne strahlt, der Grill raucht noch, es sieht null Komma null nach Weihnachten aus und doch… etwas liegt in der Luft.

„Ich fühle mich wie Urlaub…“, sagt Jörn zum Abschied und alle wissen, was er meint.
Keiner fragt nach.
Für manche Momente braucht es keine Worte. Weder auf Deutsch, noch auf Spanisch oder Englisch. Manche Momente, die versteht man wortlos am besten, überall auf der Welt. Das passiert dann, wenn man Räume in sich selbst gefunden hat, die alles beinhalten, wonach man sucht.

Hasta bald, lovely Familie, clients y amigos!

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