Eine gibt eine besondere Art der Stressbewältigung, die sich mit Meditation, Sport und Loslassen belastender Gedanken paart.

Die Rede ist von Schnitzen. Ja, richtig gelesen. Schnitzen. Das Schnitzen erfüllt gleich mehrere Zwecke gleichzeitig:

1.  Entscheidungsmuskel trainieren: Du bestimmst, was entstehen soll

Als erstes bestimmst Du, was aus dem Baumstamm überhaupt werden soll. Anders als in Deinem Leben, steht hier jemand neben Dir (die Bildhauerin/der Bildhauer), der Dir sagt, was für einen Anfänger geeignet ist und was nicht. Meine Freundin Laura beschließt, eine Eule zu erschaffen und Janine mag ein Herz samt Unendlichkeitssymbol hervorzaubern – während ich eine Weltkugel aus meinem Stamm werkeln will. Wir haben klar im Kopf, was wir wollen und wenig bis keine Ahnung, wie wir dorthin kommen sollen. Dieser Zustand kommt uns bekannt vor.

2. Aggression und Angst abbauen: Einfach mal drauf hauen auf das, was im Weg steht

Du stellst Dir den Kopf eines Menschen vor, den Du so richtig gerne mal Ohrfeigen würdest. Alternativ kann Dein Baumstamm auch für eine Eigenschaft stehen, die Du an Dir selbst total ätzend findest. Dazu reicht Dir der Fachmann oder die Fachfrau ein Stück Baumstamm (Linde lässt sich besonders gut bearbeiten) sowie einen richtig schweren Hammer plus Schnitzer. Und dann rammst Du volle Möhre Deinen Schnitzer in den Baumstamm. Immer und immer wieder, bis Du nicht mehr kannst. Dabei hilft ein Mantra: „Verzieh Dich aus meinem Leben, verzieh Dich aus meinem Leben…“ oder netter: „Mit jedem Schlag befreie ich mich von Dir, mit jedem Schlag befreie ich mich von Dir…“.

3. Frustration gegen Gelassenheit eintauschen: Akzeptieren, dass es nicht immer nach Plan läuft

Wir kloppen stundenlang an zwei ganzen Tagen wie die Bekloppten auf unsere Baumstämme ein. Egal wo ich hinblicke, ich erkenne nichts von dem, was wir erschaffen wollen. Lauras Eule sieht aus wie ein Hinkelstein, Janines Herz gleicht einer unförmigen Wolke und meine Weltkugel imitiert den Uluru/Ayers Rock in Australien. Wir fluchen, dann freuen wir uns, trösten einander, werden wieder sauer und fluchen, dann freuen wir uns… Es ist ein stetes Wechselbad der Gefühle mit Aufs und Abs. Wie im richtigen Leben. Dabei sind wir nicht allein. Unser Nachbar macht dasselbe durch. Jeder von uns hämmert wie irre, gibt schließlich auf, macht dann trotzdem weiter und findet jemanden, dem es genauso geht.

4.  Vertrauen in die eigenen Fähigkeiten: Wissen und spüren, dass es gut sein wird

Es dauert ungefähr 12 Stunden, bis wir erkennen, dass unser Werk gut ist. Laura steht vor Eule „Ursula“ und sie sieht tatsächlich aus wie eine richtige Eule. Ihren Silberblick hat sie abgelegt und ihr krankes-Huhn-Outfit gegen Eulenkostüm getauscht. Jetzt thront sie stattlich auf ihrem Baumstamm. Janines „Herz mit Unendlichkeit“ strahlt mit voller Kraft und zeigt das, was es ist. Und meine Weltkugel? Die fühlt sich rund an. Die Mühe hat sich gelohnt, nicht nur, weil wir unser Ziel erreicht haben. Der Weg dahin war das Faszinierende, denn neben körperlicher Ausgeglichenheit ist auch unser Kopf angenehm leer und leicht.

5.       Hackschnitzel wegräumen: Spuren des Kampfes beseitigen und Wunden pflegen

Um uns herum liegen Hackschnitzelberge. Laura klebt noch ein Pflaster auf ihre Finger und ich creme meine abgeschmirgelten Hände ein. Lediglich Janine hat es geschafft, ohne Verletzungen aus der Nummer raus zu kommen, zumindest behauptet sie das. Ich meine, einen leichten Hinkebein-Gang bei ihr zu beobachten, als wir uns glücklich verabschieden. Wir haben es geschafft! Was zu Beginn ein unförmiges Stück Holz war (Dein Leben) ist nun ein persönliches Meisterwerk (Eule, Herz und Welt) – es liegt eben im Auge des Betrachters, für welche Sicht er sich entscheidet.

Dein Baumstamm ist quasi Dein momentaner Zustand. Das, was aus Dir heraus nach außen will und etwas zu sagen hat. Was auch immer wir nun damit anfangen, wenn wir die Symbolik unserer Skulpturen betrachten, hier kommen Eule, Herz und Welt:

Eule:
Die symbolische Bedeutung von Eulen ist faszinierend. Einerseits gelten Eulen in den unterschiedlichsten Kulturen als Symbol der Weisheit und des Guten. Andererseits gelten sie als Unglücksbote und Sinnbild des Bösen. Sie ist Beschützerin und Begleiterin, sogar über den Tod hinaus, wenn sie die Seele des Menschen ins Jenseits begleitet. Indianerstämme sehen in ihr ein Krafttier, das für einen Menschen steht, der gerne anderen Menschen hilft und dabei im Zweifel auch seine Gesundheit vernachlässigt.


Herz:
Das Herz steht in unterschiedlichen Kulturen für den Ort der Intuition und Weisheit. Es ist auch der Ort der Liebe. Zusammen mit dem Gehirn bildet es das Gleichgewicht der Gedanken. Das Herz steht für das Zentrum allen Seins und das Tun im Nichtstun. Es symbolisiert die Mitte zwischen Bewusstsein und Unterbewusstsein, es erkennt die fließenden Übergänge zwischen beiden und ist die erste Instanz, die den Wandel im Leben erspüren lässt.

Unendlichkeit / liegende Acht:
Das Symbol der Unendlichkeit oder liegenden Acht steht für Beständigkeit und Logik im Paradoxon. Es verdeutlicht das Spiel der kosmischen Kräfte und die ewige Seele, die darin ihre Ruhe findet. Das Unendlichkeitssymbol bedeutet außerdem Liebe, Freundschaft, Rettung und Reinigung.

Weltkugel:
Ein Symbol universeller Hoffnung und Bestrebung, Welterkenntnis und Bildung. Die Weltkugel steht auch für Macht, Sieg und Patriotismus. In Märchen stehen Kugeln jeweils für Aspekte des eigenen Selbst. In der Antike stand die Kugel, als vollkommenste aller Formen geltend, für ein Abbild der Seele. Die Kugel gilt außerdem als Symbol für Vollständigkeit und Ganzheit. Sie steht außerdem für die Gesamtheit dessen, was alle Gegensätze aufhebt. So kann die Kugel auch für das Streben der Psyche gesehen werden, die Gegensätze im Leben zu vereinen um Gleichgewicht herzustellen.


Auf dem Nachhauseweg erzählt Laura von der Bedeutung der Pflanze „Thymian“. Im Mittelalter steckten die Frauen ihren Rittern einen Thymianzweig in die Rüstung, denn er steht für Schutz und Mut während einer Schlacht. Als ich an diesem Abend ins Bett gehe, blinkt mein Handy: Laura hat mir ein Bild von einem Thymian geschickt. Ich will nicht behaupten, dass das Leben aus Schlachten besteht. Es besteht AUCH aus Kriegen, Kämpfen, Angriff und Verteidigung. Doch was macht das schon, wenn Du Menschen in Deinem Leben hast, die wissen, wann Du dringend einen Schnitzkurs brauchst oder Thymianzweige?

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