Authentische Ayurveda Kur in Indien – Teil 2
Bevor ich nach Indien aufgebrochen bin, wies mich Dr. Sreejit auf diesen Beitrag (englisch, The Heart of Ayurveda) hin – verbunden mit dem sanften Hinweis, dass ein Aufenthalt in seiner Klinik kein klassischer Wellness Urlaub sein würde. Ich sollte vor Ort schnell merken, dass das ein sehr fairer Hinweis war…
Das Erbrechen beim Panchakarma
Gespannt starre ich auf den schwarzen Bildschirm. Amil drückt auf der Fernbedienung ein paar Knöpfe und dann geht es los. Meine Einführung zum „gezielten Erbrechen.“ Dabei wird als Konsequenz der Magen gereinigt, indem man ein paar Liter Kräuterflüssigkeit trinkt – eine, die praktischerweise die Information an den Körper sendet: „Spuck mich sofort wieder aus! Sonst wird´s mies.“
Ich schaue also Dr. Sreejit dabei zu, wie er es im Video vormacht. Er berichtet vom ersten Schritt der inneren Reinigung mit einer Klarheit und Gelassenheit, die mich beeindruckt. Mir hat noch nie jemand Tipps gegeben, wie ich mir (aus medizinischen Gründen) am besten den Finger in den Hals stecke, um einen Brechreiz auszulösen. Doch heute lerne ich es. Ich lerne auch, wie das Erbrochene aussehen muss, damit man erkennt, ob man mit dem Ergebnis einen guten Job hingelegt hat.
Gesagt, getan. Ich sitze brav am nächsten Morgen um 6.30 Uhr vor Sonnenaufgang im Behandlungsraum und trinke auf nüchternen Magen ein paar verdammt riesengroße Becher mit brauner Kräuterflüssigkeit. Und dann… herrje. Oder besser: wow! Mir wird mental nie wieder eine Magen-Darm-Grippe etwas antun können. Nie wieder. Nie. Nie. Wieder. Dieser Beitrag hier kommt ins Archiv.
Mit einem euphorischen Gefühl des Sieges kehre ich zurück in mein Zimmer. Schritt 1 „Panchakarma“ ist geschafft!
Das Abführen beim Panchakarma
Tags darauf folgt Schritt 2: Abführpaste einnehmen und dann warten. Am besten in der Nähe einer freien Toilette. Ich gucke wieder ein Video, in dem Dr. Sreejit die Paste löffelt, die ich bald zu mir nehmen soll. Er erklärt wie immer, weswegen wir das machen und wie es auf den Körper wirkt. Mir leuchtet alles ein, trotzdem ist meine Freude auf den Tag verhalten, als ich mich tapfer um 8 Uhr morgens bei meinen Therapeuten-Mädels Anju und Sofi einfinde. Anju setzt sich zu mir und überwacht, ob ich auch tatsächlich alles aufesse. Ich kriege seltsamerweise keinen Brechreiz, als ich den letzten Löffel der widerlich schmeckenden Substanz hinunterschlucke.
„Now you wait in your room“, sagt Anju und ich mache mich brav auf den Weg in mein Zimmer.
Um 08.30 Uhr bin ich dort.
Um 08.45 Uhr beginne ich, den halben Tag im Badezimmer zu verbringen. Erst später erfahre ich, dass das Prozedere normalerweise später einsetzt, aber dafür bin ich auch früher wieder gesellschaftsfähig. Manchmal hat ein hoher Metabolismus einfach auch Vorteile.
Die Einläufe beim Panchakarma
Zwei Tage später lerne ich, welche Position Menschen am besten für Einläufe zur Darmspülung einnehmen. Nachdem die Abführpaste bereits einen tollen Job gemacht hat, kommt jetzt sozusagen der Putztrupp, der bis in die Fugen hinein reinigt.
Im Video erfahre ich wieder alles, was ich wissen muss. Ergeben lasse ich über mich ergehen, was getan werden muss – und bin einige Tage später recht dankbar, als man mir eröffnet, dass mein Körper hervorragend mitarbeitet und wir zum nächsten Schritt übergehen können. Einlauf-Phase beendet! High-Five, body!
Öl-Massage und Schwitzkammer beim Panchakarma
Anju und Sofi bearbeiten synchron meinen kompletten Körper mit einem Öl, das irgendwie nach Kampher riecht. Danach stecken sie mich in eine Schwitzkammer, wobei ich mir zwischendurch die Frage stelle, weshalb ich nicht einfach draußen in die Sonne stehe… da isses noch wärmer und auch wunderbar schwül. Gefühlt. Während das Öl in jede Pore meines Körpers kriecht, versuche ich eine bequeme Sitzposition in der Kammer zu finden. Nur mein Kopf guckt raus und weil ich hier drinnen keine Kontaktlinsen oder Brille trage, erkenne ich die Uhrzeit nicht.
„Sofiiiiii?“ ächze ich.
„Yes, Madam?“ fragt Sofi und tritt zu mir.
“How long?” jammere ich. Ich hoffe, es dauert nicht mehr lange.
“Eight minutes”, lacht sie.
„I´m only eight minutes inside?“ jammere ich.
„No! Inside two minutes. Eight left“, grunzt die indische Schönheit.
Noch acht Minuten.
Zwei habe ich schon, denke ich, und bleibe ergeben weiter sitzen.
Geduld in der Schwitzkammer gehört nicht zu meinen Stärken, schreibe ich am Abend in mein Tagebuch.
Das Ghee-Trinken beim Panchakarma
Bald kommt das Schlimmste. Das Schrecklichste. Die allerallerwiderlichste von allen Behandlungen. Nicht einmal Nasyam (Nasenreinigung) ist herausfordernder: Ich bekomme über mehrere Tage flüssigen, warmen Kräuter-Ghee und werde dabei überwacht von Arun. Der plaudert munter über seine Erfahrungen mit Arbeit und Leben in Mumbai, strahlt über sein Glück darüber, dass er jetzt im Athreya Centre arbeitet… und ich… proste ihm zu und trinke Ghee auf ex.
Es fängt in harmlosen Dosen an und geht so lange, bis zum Schluss ein ganzes Glas ausgetrunken werden muss. An Tag zwei ist mir bereits so schlecht, dass ich am Morgen von Tag drei denke, ich muss sterben. Okay, vielleicht nicht gleich den Löffel abgeben, aber mein Körper kriegt beim Gedanken an Ghee Gänsehaut und mein Magen rebelliert. Ich erzähle Dr. Sreejit von meiner neuen Abneigung gegen das goldene Elixier, aber er lässt nicht mit sich verhandeln.
„You can ask me after day three. This is not negotiable“, lacht er sein strahlendes, entwaffnendes Lachen. Gut, dass er dieses Lachen auspackt, als ich ihn eigentlich würgen und schütteln will.
Ich bin irgendwann fix und fertig. Gehe wider des Ratens meiner Ärzte zum Yoga – und kann die einfachsten Positionen nicht mitmachen. Zu schwach. Ich gehe fünf Treppenstufen und habe das Gefühl, den Mount Everest zu besteigen.
Und dann. Am nächsten Morgen. Muss ich es wieder tun. Ich trinke das Ghee-Zeug und will am liebsten sofort alles wieder von mir geben. Das erzähle ich Dr. Sreejit und diesmal kommt die Erlösung: Ich darf wieder ohne Ghee meine Tage verbringen. Wahrscheinlich hat er den Wahnsinn in meinen Augen gesehen und dass ich bereit bin, ihm volle Breitseite eine zu Scheuern, wenn er jetzt nicht sofort tut, was ich sage.
Ich bin „after Ghee“ der glücklichste Mensch der Welt und erzähle meinen Athreya-Freunden beim Frühstück am darauffolgenden Tag mit Tränen in den Augen, wie gut die Ananas schmeckt, die ich gerade esse. Glück kann so einfach zu einem kommen!
Was passiert, wenn das Ghee die Herrschaft übernimmt
Die „Nacht nach Ghee“ bin ich stündlich wach. Um 05.00 Uhr stehe ich schlussendlich auf und bilde mir ein, dass mein Zimmer nach Ghee riecht. Tut es natürlich nicht (oder vielleicht doch? Dünste ich das goldene Elixir bereits aus?), trotzdem wird mir schlecht. Als ich kurze Zeit später auf dem Weg zu meiner Behandlung bin, riecht auch die Luft draußen nach Ghee. Am schlimmsten wird es, als Sofi mein Gesicht massiert – mit einem Öl, in dem tatsächlich Ghee enthalten ist! Aaaaah! Mir wird schlagartig speiübel. Auf dem Behandlungstisch fehlt mir heute jedwede Kraft, um irgendeinen Muskel anzuspannen, und so flutsche ich wie ein Stück Butter in einer heißen Pfanne von A nach B, während Anju und Sofi meinen Körper bearbeiten.
Ich bin voll im Eimer, keine Frage.
Mit einem Gefühl von Grippe schleppe ich mich aus dem Behandlungsraum. Auf dem großen Balkon vor den Behandlungsräumen treffe ich Angela aus Barcelona. Sie ist für zwei Wochen hier und wird vermutlich kein oder nur wenig Ghee zu sich nehmen müssen. Wir unterhalten uns in allen erdenklichen Details über die Auswirkung einer täglichen Ration flüssiger, warmer geklärter Butter. Als ich ihr erzähle, dass ich sei meiner Ankunft ordentlich Körpergewicht verloren habe, verändern sich ihre Gesichtszüge von Ekel, Schrecken und Mitleid hin zu Hochinteressiert, Hoffnungsvoll und Kampfbereit. Ja, man verliert wirklich rasend schnell Gewicht bei dieser Behandlung, was vor allem daran liegt, dass
- Man keinen Hunger oder Appetit hat (zur Stärkung trinkt man Reissuppe oder isst Porridge)
- Alles, was man zu sich führt, auch sehr schnell wieder vom Körper abgegeben wird.
Ghee ist ein wunderbarer Kamerad beim Entgiften. Tatsächlich ist Ghee die einzige Substanz (neben Alkohol), die es schafft, in jeden Bereich einer Körperzelle einzudringen und Medizin in dieselbe zu tragen. Dr. Sreejit hat meine Einladung, dass wir beide ja auch einfach ein paar medikierte Schnäpse zusammen trinken können, leider abgelehnt.
Die Nasenreinigung beim Panchakarma
„It is not as bad as I describe it in the video…“ sagt Dr. Sreejit.
“I cannot imagine anything being as bad as the intake of Ghee!” antworte ich mit voller Überzeugung. Nichts, wirklich gar nichts, stelle ich mir gerade schrecklicher vor, als nochmal Ghee trinken zu müssen.
Nun, ich schaue wieder artig das Video.
Sagen wir es so: Es macht mir keine Lust auf´s Ausprobieren J
Natürlich gehe ich trotzdem zur Behandlung, viele Tage lang, und tue tapfer folgendes:
Anju verpasst mir anfangs eine Gesichtsmassage. Eine von der Sorte, bei der ich danach keine Falte mehr im Gesicht haben kann, wie ich meine. Dann lege ich meinen Kopf nach hinten und sie träufelt mir flüssiges, medikiertes Ghee (natürlich!) in beide Nasenlöcher. Ich darf nicht schlucken. Stattdessen massiert sie mir das Zeug in die Nebenhöhlen, bis ich schließlich genau DAS tue, was ich zu Beginn meiner Reise bei der alten Dame am Flughafen so befremdlich fand.
Fazit: Ich kann jetzt die Nase hochziehen wie ein Bauarbeiter. Mir macht nie wieder jemand in diesem Bereich was vor. Und ja, ich kann es auch in High-Heels im kleinen Schwarzen mit Flechtfrisur und Make-Up im Gesicht.
Direkt im Anschluss hilft es mir nicht, dass ich früher mal geraucht hab. Anju fackelt eine Kräutermischung an und leitet den Rauch durch ein gefaltetes Blatt in meine Nasenflügel.
Der stechende Schmerz, der durch meinen Kopf fährt, ist höllisch. Meine Lunge schreit. Ich huste und röchle und schniefe und…rotze.
Ergebnis: Wenn ich vorher gedacht habe, ich hätte geatmet, dann ist das, was ich jetzt tue, nicht von dieser Welt. Ich kriege nicht Luft, ich bin die Luft.
Das Zeug macht zwar nicht high, aber euphorisch – zumindest mich.
Ein paar Tage später erfahre ich von Hilde (meine Heldin für Frauen ab 60), dass sie kein Öl die Nase hoch gejagt bekommt, sondern etwas viel Interessanteres… dazu mehr im nächsten Beitrag: Ein Plädoyer für Menschlichkeit.
Die Reismassage im Ayurveda
Sofi und Anju massieren mich wieder am ganzen Körper mit einem Kräuter-Öl. Danach kommt ein richtig gutes Zeug: Reispuder. In Stoff gewickelter, gemahlener Reis plus Kräuter, in Milch gekocht und ab auf den Körper. Nach und nach bleibt eine dickflüssige, klebrig-rosafarbene Paste auf jeder Stelle meines Körpers kleben – die Politur und damit auch der letzte Schritt meiner Panchakarma-Behandlung. Unspektakulär (tut auch mal gut zwischendurch) und äußerst effektiv. Meine Haut fühlt sich an wie die eines Babys am Tag meiner Abreise.
Zum nächsten Teil 3 geht es hier.
Picture credits: Thank you my fellow Athreya friends for providing the pics!
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