Frustriert schließe ich die Türe der Tierarztpraxis hinter mir und mache einen Stolperschritt, weil dieser unerzogene Hund ruckartig an der Leine zieht. Dieser braune Straßenköter, gerade mal sechs Monate alt, der gestern die ersten Milchzähne am Buch abgekaut hat, das ich gerade lese. Pünktlich zum Zahnwechsel und mit Einsetzen der Pubertät, ist das Tier bei uns eingezogen. Sie ist meine lebendige Prä-Hundetrainerin Ära: 

Phaedra.

 

Tierschutzhunde erforschen den Rand des menschlichen Wahnsinns 

Sie heißt so, weil sie schon so hieß. Und weil der Name das Einzige ist, auf das sie hört.

Phaedra, die reizempfänglich alles in der Welt auf einmal betrachten und erfahren will.

Die allem hinterherjagt, was fliegt oder rennt oder krabbelt.

Die jedes benutzte Taschentuch auf der Straße frisst.

Die jedem Menschen freundlich guten Tag sagen will. Immerhin.

Diese junge Tierschutzgriechin, die weder stubenrein ist, noch gelernt hat, alleine zu bleiben.

Die viel zu früh kastriert wurde – mit fünf Monaten!

Beim ersten Tierarztbesuch in München, höre ich über den Entschluss, Phaedra in unserer Familie aufzunehmen, miese Dinge.

 

Tierärzte ohne Taktgefühl – eine aussterbende Spezies?

„Wie konnten Sie das tun? Einen Hund aus dem Auslandstierschutz? Da werden Sie sich noch umgucken“, sagt der Tierarzt, und streichelt seinem rassereinen Rauhaardackel über den Kopf.

Mein Herz geht auf. Ich liebe Dackel. Am liebsten würde ich den hier einpacken, und ihm auch ein Zuhause geben. Phaedra mag ihn auch. Sie beginnt, sehr, sehr, sehr (viel zu) stürmisch ein Spiel mit dem viel kleineren Hundefreund.

„Nehmen Sie das Tier bitte weg“, sagt der Tierarzt jetzt, reißt seinen Dackel hoch und blickt angewidert auf dieses stürmische Hundemädchen, das ich selbst noch gar nicht richtig kenne.

Ich werde gebeten, sie auf den Untersuchungstisch zu stellen. Behutsam lege ich meine Arme an Brust und Hinterteil, vergesse ihren peitschenartigen Schwanz dabei nicht, und schwupps, steht sie auf der Tischplatte.

Und gibt dem Tierarzt einen Hundekuss.

Ich lache, doch beim entrüsteten Blick des Mannes, bleibt mir das Lachen im Halse stecken.

Der Halbgott in Tierarztweiß untersucht meine Hündin fachmännisch. Innerhalb weniger Minuten weiß ich,

–          dass ich eine Fehlentscheidung getroffen habe, denn dieser Hund wird viel größer, als ich dachte

und

–          Ich werde, um sie vom Jagen abzuhalten, viele Steine nach ihr werfen und sie anbrüllen müssen

und

–          er könne mir eine gute Adresse im ansässigen Schäferhundeverein geben, da wisse man, was zu tun sei

und

–          das von ihm selbst entwickelte Futter sein für diesen Fall hier das Beste

und

–          der Hund sei mangelernährt gewesen und hätte eine Krankheit, die sich Morbus Schlatter nennt

und

–          wahrscheinlich eine kaputte Hüfte

und

–          aber wenigstens schauen die Zähne gut aus und die Narbe dieser gesetzeswidrigen Frühkastration verheilt gut.

„Da können Sie ja nichts für, dass die vom Tierschutz bereits Welpen kastrieren“, meint er noch.

Nein, kann ich nicht. Dennoch: Es gibt nicht „die vom Tierschutz“. Es gibt solche und solche.

Während mir das Herz schmerzt, weil ich will, dass es dem kleinen Hundemädchen gut geht, höre ich kaum noch all die guten Ratschläge.

Zusammen mit einer Packung des besten Futters der Hundewelt, verlasse ich schließlich mit gedämpftem Gefühl die Tierarztpraxis.

 

Alle verachten meinen Hund und halten mich für doof

An diesem Herbsttag gehen der fremde Hund und ich zusammen heim. In dieses Zuhause, das schon lange meines ist und sicherlich auch bald ihres. Derjenigen, die ich jetzt noch nicht kenne und die mir in erster Linie schwere Tage beschert hat, seit sie bei uns ist.

Zu Hause wartet das neue Herrchen zum Hund. Übermüdet – denn Phaedra randaliert nachts in ihrer geräumigen Hundebox. Sie muss außerdem bei Mondschein mehrmals raus zum Pinkeln. Obwohl sie bei uns im Schlafzimmer schläft, reicht ihr das nicht. Sie will mit ins Bett. Ganz gegen unsere Vorstellungen!

Unsere Besuche in der Hundeschule verlaufen ähnlich frustrierend, wie der Tierarztbesuch. Wieso wir keinen Zuchthund ausgesucht haben? Wir wollten doch einen Magyar Vizsla oder Labrador oder Golden Retriever oder Irish Setter? Was soll dann „das da“?  Gemeint ist Phaedra.

Kopfschüttelnd betrachtet eine Hundetrainerin unseren rotbraunen Zappelphillip auf vier Pfoten. Fachmännisch wird der Hund begutachtet. Innerhalb kürzester Zeit weiß ich

–          dass ich die falsche Entscheidung getroffen habe und dieser Hund hier

–          lange Zeit brauchen wird, bis er ruhiger wird und ansprechbarer

–          um Phaedras überdurchschnittliche Intelligenz Bescheid (Border-Collie-Niveau, welch Schrecken…)

–          und ja, sie hat ein schräges Gangwerk, der Tierarzt hat vermutlich recht.

Wir sollen

–          Phaedra viel anleinen Zuhause, am besten auf ihrem Platz

–          An der Schleppleine mit ihr Spazieren gehen

–          Existenziell ernähren

–          Ignorieren, wenn sie etwas fordert

–          Anti-Jagd-Training machen

–          u.v.m.

Wir sehen all die Trainingsaufgaben ein. Wir setzen alles um. Wir bieten diesem Hund klare Leitplanken und finden unseren gemeinsamen Alltag, der uns drei zusammenfügt und festhält – irgendwann.

 

Wer viel zusammen durchmacht, den hält auch vieles zusammen

Eines Tages ist der Moment da, an dem ich sie nicht mehr ins Tierheim bringen oder andere Halter für sie suchen will. In dunklen Momenten, da denke ich das nämlich. Ich halte mich für die schrecklichste Hundehalterin der Welt. Für inkompetent und schwach und dämlich. Und dieser Flohsack aus Griechenland erinnert mich daran. Jeden Tag. Mehrmals.

Egal wohin ich schaue, niemand spricht mir Mut zu. Die Hundetrainerin bemitleidet mich, andere Hundehalter lachen über uns. Willkommen fühle ich mich nirgends und Phaedra tut mir leid. Schließlich will ich, dass sie glücklich wird bei uns.

Nur wie?

Niemand kann es mir so richtig sagen. Ich finde die Antwort nicht in Büchern, nicht im Internet und kein Mensch da draußen kann sie mir geben.

Ich muss sie in mir selbst finden.

Ich kündige schließlich meinen Job im Verlag und werde Hundetrainerin bei Martin Rütter. Zehn Jahre lang.


 

So ging es weiter:

Traumberuf Hundetrainer – ein Blick hinter die Kulissen

Die wichtigsten Fehler und Erkenntnisse einer ehemaligen Hundetrainerin

 

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